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Sozialdarwinismus als Tatmotiv

Die Theorie der natürlichen Auslese

Sozialdarwinismus entstand aus den Theorien des Naturwissenschaftlers Charles Darwin. Dieser hatte im 19. Jahrhundert die langfristigen Entwicklungen der Tierwelt untersucht und die Evolution mit Hilfe des Prinzips des „Survival of the fittest“ beschrieben. Er ging davon aus, dass nur die angepassten Tierarten in der Natur überleben und über lange Zeiträume eine „natürliche Auslese“ stattfinde. Der Sozialdarwinismus überträgt bestimmte Annahmen von Darwins Theorie auf den Menschen. Obwohl alle Menschen gleich sind, propagiert der Sozialdarwinismus ein „natürliche Auslese“ auch innerhalb des menschlichen Zusammenlebens. Menschen, die im Konkurrenz- und Leistungsdruck unserer Gesellschaft nicht mithalten können, werden in diesem Sinne für ihren sozialen Status und ihre Probleme allein verantwortlich gemacht. Die Entwicklungen des globalen Wirtschaftssystems und die Probleme, die es produziert, werden ähnlich der Evolution als natürlicher Prozess verstanden.

Gegen „Nutzlose“ und „Überflüssige“

Menschen mit sozialdarwinistischen Einstellungen sehen Menschen, die wirtschaftlich nicht profitieren oder als nicht produktiv gelten, oft als „Nutzlose“ oder „Überflüssige“. Sozialdarwinismus drückt sich dementsprechend in der Benachteiligung, Diskriminierung und Ausgrenzung sozial schlechter gestellter Menschen aus. Betroffen sind oft Wohnungslose, Menschen mit Behinderung, Drogenkonsument:innen, Menschen ohne Erwerbsarbeit und teilweise sogar Menschen, die einfach nur schlecht bezahlt werden.

Nach Umfragen der Leipziger Autoritarismus Studie 2022 stimmen über 30 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Gesellschaft mit aller Härte gegen Außenseiter und Nichtstuer vorgehen sollte, über 30 Prozent stimmen dieser Aussage teilweise zu. Das wird auch in politische Forderungen übersetzt. Der CDU-Vizevorsitzende Carsten Linnemann plädierte im Jahr 2023 auf einem Parteitag für eine Arbeitspflicht: „Für die Arbeitslosen, die eigentlich arbeiten könnten, sollten wir eine Jobpflicht einführen.“ Solche Statements und Forderungen tragen dazu bei, dass sozial Benachteiligte entmenschlicht und als lebensunwert in der Gesellschaft dargestellt werden.

Mörderische Tradition

Diese verbale Gewalt schlägt immer wieder auch in körperliche Gewalt um. Täter:innen dieser Gewalt finden im gesellschaftlichen Sozialdarwinismus, verbreitet durch Medien und Politik, Bestätigung für ihr Handeln. Historisch betrachtet knüpfen sie auch an die Vernichtungspraxis des Nationalsozialismus an. So wurden zwischen 1938 und 1945 Hunderttausende von Menschen aus sozialdarwinistischen Motiven in Euthanasieanstalten, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet: Menschen mit Behinderung, Menschen die als „Drogenabhängige“ galten, Menschen die keine Wohnung hatten und Menschen die sich den Zwangsarbeitsprogrammen der Nazis entzogen. Auch nach dem Nationalsozialismus ließen sich in beiden deutschen Nachfolgestaaten, der BRD und der DDR, noch viele Kontinuitäten erkennen, sowohl bei Behörden und in der Gesetzgebung wie auch in der Einstellung der einzelnen Menschen.

„Spätestens mit ihren Bemerkungen nach dem Umsteigen in den Treibwagen der Straßenbahn haben sie gezeigt, daß es ihnen durchaus klar war, was sie getan hatten, und ihre gefühllose Gesinnung zum Ausdruck gebracht.“ (Kippe, 11/96, S. 20)

Morde mit Sozialdarwinismus als Tatmotiv